Montag, 22. April 2013

Hamburg - Eine Perle

Montag, 22. April 2013

Hamburg. Eine Perle

Ja, ich habe mich darauf gefreut, wochenlang. Endlich nach Hamburg zu fahren, in diese wunderschöne Stadt, deren architektonisch traumhafte Häuser so beeindruckend die breiten, großzügigen Straßen säumen wie Perlen an einer gleichmäßigen Schnur. Zumindest in St. Georg, wo das Hotel lag, gleich am Wasser, mit berauschender Aussicht.

Entlang des riesigen Hafens und durch den Elbtunnel die Stadtgrenze passierend musste ich aus Zeitgründen allerdings zuerst direkt Kurs auf die Arena nehmen, in der meine Fortunen an diesem Spieltag gastierten. Die Stadt war in Sonne getaucht, die Wärme stieg an, so wie meine freudige Erwartung.

Eine Stunde vor Anpfiff stellte ich mich am Eingang zur Einlasskontrolle an. Zuerst geduldig. Bis ich sah, dass die Schlange hinter mir ins Unermessliche wuchs, während vorne 2- in Worten ZWEI- Ordner versuchten, der Lage Herr zu werden und die Massen durchzuschleusen. Mann für Mann für Mann für...

Aber gut. Man muss es nehmen, wie es kommt. Wir vertrieben uns die Wartezeit mit rot-weißen Schlachtgesängen und schmetterten der Arena alles entgegen, was das Repertoire hergab. Die sich bereits im Inneren des Areals auf den Gängen der oberen Etagen befindlichen Fans stimmten freudig den "For-tu-naaa!" Wechselruf an, der von uns lautstark mit "Düüü-ssel-dooorf!" quittiert wurde.

Die Stimmungslage war also ausgezeichnet, der Kampf am Einlass irgendwann gewonnen, die Treppen zum Block erklommen, die Anstehzeit am Bierstand, an dem 1- in Worten EIN- Barmann versuchte, die durstigen Kehlen zu versorgen, Mann für Mann für...,
überwunden, mit Bier bewaffnet der eigene Platz gefunden. Gerade rechtzeitg. Es konnte losgehen.

Ich hätte mir durchaus mehr Zeit lassen können. Eigentlich. Denn die Fortunen schienen noch nicht ganz erwacht, liefen dem Spiel des Gegners hinterher, ließen sich nach hinten drängen. Das oft gewohnte Bild. Ich gab alles, was in meiner Macht stand. Ich war da und schrie. Schrie mir die Seele aus dem Leib, klammerte mich an Bier und den Trennstangen fest, um nicht vor lauter Inbrunst vorne über kippend durch den Block zu fallen. Ein sich mir einprägendes imaginäres Bild, mein Verein, der sich nach oben gekämpft hatte und nun drohte kopfüber im Steilflug durch die Liga nach unten zu rasseln.

Manchmal musste ich mich setzen und verschnaufen. Brüllen ist anstrengend. Für mich aber wichtig. Ich will, dass sie da unten auf dem Rasen wissen: Wir sind da, bei Euch, wir stehen zu Euch und unterstützen Euch. Immer und zu jeder Zeit. Zugegeben, die zwei kurz hintereinander fallenden Führungstreffer der HSVer entrangen mir ein leises Jammern, ob ihres Zustandekommens und dem Gedanken "Nicht schon wieder.."

Gejammert wird nur im Stillen, zumindest praktiziere ich das so. Wozu Spieler beschimpfen, die sowieso schon mit sich hadern, mutlos und ängstlich agieren und denen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten fehlt. Davon halte ich nichts.

Zur Pause schöpfte ich neuen Mut und gönnte mir ein weiteres Kaltgetränk, es galt die Stimme zu ölen, um mit allem, was die Bänder hergaben den Kampfgeist unserer Truppe herbei zu singen. In die Tat umgesetzt wurde es sogar von kurzem Erfolg gekrönt, unsere Jungs schmissen alles in's Spiel, was die Körper hergaben, rannten und fighteten, bis der Anschlusstreffer durch, jawohl, den Dani fiel. Ich gönnte es ihm, war es doch eine ganze Weile her, dass er eingenetzt hatte.

Es nützte nichts. Am Ende standen sie auf dem Feld, die Arme hängend, manche Gesichter traurig, andere wütend.

Die üblichen Gedankengänge machten sich breit. "Sie haben so gekämpft. Hätten sie sich doch wenigstens mit einem Punkt belohnen können. Sie schenken Chancen zu leicht her, Spiel um Spiel. Sie hatten kein Glück, dann kam noch das Pech dazu." Jaja.

Sie taten mir leid. Woche für Woche Hoffnung, im Kopf den festen Plan Klassenerhalt. Tausende, die mit ihnen umherreisen, sie lieben, sie aufmuntern. Und doch sind sie selbst zum Schluss wieder ihr größter Gegner gewesen.

Ach, Fortuna..

Ich fühlte mich, als läge eine Schlinge um meinen Hals und irgendjemand zog sie stetig fester zu. NIedergeschlagen trat ich den Weg in's Hotel an. Meine Blicke überflogen die wunderschöne Perle, die sich mir bot, wie sie dalag, in all ihrer majetätischen Pracht. Nein Hamburg, an Dir lag es nicht. Du hast alles aufgeboten, um mir Deinen Glanz zu präsentieren. Allein, ich wusste es nicht zu würdigen. An diesem Tag würdest Du nicht meine Perle werden.

Mein mir eigener Fortunenberufsoptimismus hatte Risse bekommen, so sehr ich auch versuchte, es mit Gleichmut und Fassung zu ertragen. Es tat mir weh, unsere Mannschaft zu sehen, die wiederholt wie ein geprügelter Hund vom Rasen schlich, um ihre Fehler wissend und die Ohnmacht, es nicht verhindern zu können.

Ich ahnte, wie viele sich darüber freuen würden, dass wir erneut versagt hatten. Ich wusste aber auch um die, die mir sagen würden "Kopf hoch, Ihr schafft das!" Dennoch, ich fühlte mich leer.

Ich hätte mich gerne in mein Bett verkrochen und mich durch die Minibar gearbeitet, fasste dann aber den Entschluss, dem Abend noch eine Chance zu geben. Ein Taxi brachte mich nach St. Pauli, vorbei am Millerntor. Kurz war ich abgelenkt, ein Seufzen ging mir über die Lippen, ich dachte an Frau Jeky und das Versprechen, dass ich ihr gegeben hatte. Eines Tages werde ich dort sein. Am Millerntor. Ich werde den FC St. Pauli spielen sehen, vielleicht ja sogar gegen meine Fortuna, wer weiß.

An der Davidstraße angekommen, durchlief ich sie in Richtung Reeperbahn. Es war mehr ein Durchpflügen, sie quoll über vor Menschen, viele von ihnen waren singende und feiernde Fortunen. Ich mag es normalerweise, dass wir uns nie unterkriegen lassen und unsere gute Laune behalten, egal was passiert. An jenem Abend konnte ich es nicht. Mir war einfach nicht nach Party zumute.

Die Amüsiermeile bot das Bild, das ich zuhause von der Altstadt kenne, laut und bunt, amerikanische Fresstempel, Musik schallte aus den Kneipen, einzig der Anteil der Geschäfte, deren Schaufensterpuppen Reizwäsche feilboten, war hier um ein Vielfaches höher. Und natürlich jede Menge Clubs und auch freistehende Damen, die diese Wäsche vermutlich unter ihren Jacken trugen.

Wirklich aufmerksam wurde ich erst, als ich den St. Pauli Fanladen erspähte. Mit einem derart durchgestylten Merchandise-Shop hatte ich nicht gerechnet und hätte diese Optik allenfalls erwartet, wenn es sich hier um meinen Heimatverein handeln würde, der seine Produkte auf der Kö vertreibt (was er nicht tut, jeder, der unsere Geschäftsstelle kennt, weiß das).

Meine Zuneigung zum FC St. Pauli zog mich dann aber doch in den Laden, dessen EIngangstür von zwei imposanten Security Mitarbeitern bewacht wurde. Mutig trat ich ein und sah mir alles an, was der Club an Vereinseigenem anbot. Ich erwog den Kauf eines Shirts, verwarf den Gedanken jedoch wieder, da ich fand, dass das Tragen dieser Shirts und Trikots jenen vorbehalten sein sollte, die mit Stolz und Liebe zeigen wollen, welchem Verein sie angehören. Ich wäre mir meinem Eigenen gegenüber auch ein bisschen wie ein Verräter vorgekommen. Außerdem wollte ich den Fanstuff nicht zum Souvenir degradieren. Das mag albern sein, mir erschien es jedoch nicht richtig. Immerhin, ich bin mal da gewesen. Die Freude darüber fand ich legitim.

Eine weitere Perle entdeckte ich dann doch noch, in einer kleinen, dunklen Seitengasse. Am Ende einer Häuserreihe drückte sich, für mich völlig unerwartet, eine winzige Kirche an die anliegende Gebäudewand. Wäre sie nicht angeleuchtet gewesen, hätte ich sie vermutlich übersehen. Sie schien alt zu sein, mutete fast südländisch an und stand da in all ihrer Ruhe und Stille, direkt hinter all dem hektischen Treiben in ihrer unmittelbaren Nähe.

Der Abend und ich wurden keine Freunde mehr. Ich beließ es bei einem kleinen Essen und fand mich alsbald im Bett wieder.

Der Morgen darauf brachte mir keine neuen Erkenntnisse, ich nahm die Sonne wahr, die unbeirrt vom Himmel lachte und die Außenalster in schönstem Blau erstrahlen ließ. Marathonlaufende Mitmenschen rannten an mir vorbei, entlang der Straße, gesäumt von klatschenden, antreibenden und sportbegeisterten Schaulustigen.

Ich verließ sie Stadt ebenso, wie ich gekommen war, mit leichtem Gepäck ohne zählbaren Zuwachs. Sie zeigte sich noch einmal von ihrer besten Seite und lud mich ein wiederzukommen. Das würde ich. Bestimmt. Aber zuerst musste ich nach Hause, in meine Heimat, in der mein Verein auf mich wartet. Den Blick nach vorne gerichtet, auf ein schweres Heimspiel, das uns als nächstes erwartet. Für Trübsal bleibt keine Zeit, Mut und Hoffnung müssen wieder die Oberhand gewinnen und mich begleiten, wenn ich am Samstag voller Freude und Stolz zu meiner Fortuna gehe. Und sie anfeuere, so sehr ich nur kann. Egal, wo sie auch spielt.


Fortuna Düsseldorf. Meine Liebe, mein Verein.

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