Freitag, 5. September 2014

Schwarz und weiß. Oder?


Der Ligabetrieb hatte Fahrt aufgenommen und bestimmte endlich wieder meinen Alltag. Dennoch ruhte er nun erneut, da er Test- und Qualifikationsspielen der Nationalmannschaft Platz einräumen musste. Eines dieser Spiele fand in Düsseldorf in der Arena meiner Fortuna statt. Der Termin stand frühzeitig fest und versprach mir, meine Lieblinge Mesut Özil und Lionel Messi vereint auf heimischem Rasen spielen zu sehen, da die Mannschaft Argentiniens als Gast unserer N11 auserkoren worden war. Ich besorgte mir also Tickets für dieses besondere Ereignis, schluckte gewaltig ob der gesalzenen, vom DFB festgelegten Preise, die den für die Plätze, die ich auch sonst per Dauerkarte bei Fortuna Spielen innehatte, um ein dreifaches überstiegen, aber freute mich, dass ich würde dabei sein können.

Ich erwarb die Karten zu einem Zeitpunkt, als sich die WM noch in der Vorrunde befand und nicht im Mindesten abzusehen war, wie sie ausgehen würde. Schlussendlich wurden wir bekanntermaßen Weltmeister und Argentinien ergab sich der Rolle des Vize. Nun kam es also zu einer Neuauflage dieser Partie, wenngleich ohne deren tragenden Bedeutung, die sie noch 52 Tagen zuvor innegehabt hatte. Man traf rein freundschaftlich aufeinander, dennoch galt es, ein Prestige zu verteidigen oder aber erneut zu erwerben, angesichts dieser speziellen Konstellation.

Gut gelaunt machte ich mich auf den Weg, hatte beschlossen, diesmal die Rheinbahn für die Anfahrt in Anspruch zu nehmen und traf beim Umsteigen am Düsseldorfer Hauptbahnhof auf jede Menge Menschen, die das Trikot trugen, auf dem der vierte, frisch erworbene Stern prangte. Man war wieder wer, schließlich war man amtierender Weltmeister. Das war vermutlich noch gewichtiger, als dass man mal Papst gewesen war. Dieser wiederum hatte sein Amt bereits abgelegt und der danach neu gewählte war ein Ehrenmitglied des TSV 1860 München. Aber das ist eine andere Geschichte.

Erfolg macht bekanntlich sexy, dementsprechend war die Arena tatsächlich ausverkauft und die Massen strömten durch die Eingänge ins Innere. Bereits auf den Gängen innen vor den Blockzugängen fing ich an zu fremdeln. Es erinnerte mich an ein Gefühl, dass mich schon einmal beschlichen hatte, als ich einem Boxkampf beigewohnt hatte, der durch den Namen Klitschko geprägt war, der seinem Gegenüber im Ring nach wenigen Runden das Aus beschert hatte, nachdem ich gefühlte 5 Stunden Vorprogramm in dieser, unserer Arena über mich hatte ergehen lassen müssen, inmitten eines Publikums, das so gar nicht dem entsprach, das hier sonst die Ränge füllte.

Leider lebte ich mit dem Fluch, dass unsere Arena gar nicht die allein Unsrige war, sondern mein Verein nur der Hauptmieter Selbiger ist. Ansonsten muss sich die 250 Mio Multifunktions-Arena um weitere Umsätze bemühen, um ihre Kosten annähernd in den Griff zu bekommen. Dementsprechend war hinzunehmen, dass kommerziell zu vermarktende Events in ihr stattfanden, die Fans anzogen, die ich dort sonst nicht gewohnt war und die auch gerne mal bei Konzerten unseren heiligen Rasen kaputt traten, auf den notdürftig Holzplatten aufgelegt wurden, auf denen tausende Menschen nebst in entsprechender Anzahlt aufgestellten Dixi Klos Platz fanden.

Nun aber galt es, sich einem Fußballspiel zu widmen. Ich fand den mir vertrauten Sitz in meinem Block. Aber damit endete jegliche Vertrautheit. Meine Umgebung war durch "Fremde" besetzt. Blöcke, in die ich sah, glichen nicht mehr denen, wie sie mir bekannt waren. Menschen nahmen in ihnen Platz, die ich nie zuvor gesehen hatte. Die Arena war komplett und eigens für diese Veranstaltung vollständig bestuhlt worden. Unsere Südtribüne, für die f95 Heimfans so lange und erfolgreich um Stehplätze gekämpft hatten, war kurzerhand umfunktioniert worden. Und der an meinen Block angrenzende, mir am Herzen liegende Block 42, den unsere Ultras sonst verwalten und bewohnen, bot ebenfalls ein gewissermaßen artfremdes Bild. Kein Banner, kein Transparent, keine Fahne wies darauf hin, wer da normalerweise beheimatet war.

Es bot sich ein ungewohntes Bild. Mein Wohnzimmer hatte sich verkleidet. Der Blick durchs Rund zeigte nicht das üblich dominierende Rot-Weiß, stattdessen bestimmten hauptsächlich weiße N11 Trikots den optischen Eindruck. Der Rasen wurde von von deutschen Fahnen gesäumt, eine Blaskapelle marschierte auf, Nationalspieler, die sich dazu entschieden hatten ihre aktive Karriere zu beenden, wurde der zu Recht ehrenvolle Boden bereitetet, was mir den einzigen Gänsehautmoment des Abends bescherte, als Miro Klose, the Living Legend, mit tosendem Beifall empfangen bzw verabschiedet wurde. Eine ZDF- kompatible Choreo wurde vom Oberrang präsentiert, ein jeder hielt brav sein zuvor auf dem Stuhl bereit gelegtes, farblich abgestimmtes Stück Kunststoff hoch, das im Gesamtbild die Jahreszahlen der Titelgewinne sowie das Wort "Weltmeister" auf der Gegengeraden in schwarzen Lettern auf weißem Grund ergaben. Freilich nur in dem Teil des Oberrangs, den die auf der anderen Seite positionierten Kameras medienwirksam erfassten. Es erinnerte mich an einige unserer Heimspiele, an denen neue Sponsoren zu Beginn einer Saison auf jedem Platz kleine Fähnchen hatten verteilen lassen, damit die geneigte Masse zu Spielbeginn fröhlich und werbeträchtig damit würde wedeln mögen.

Irgendwann war das offizielle Eröffnungs-Brimborium absolviert und es konnte endlich losgehen. Meine beiden Lieblinge fehlten zwar verletzungsbedingt, aber der Ball rollte. Und dann passierte etwas sehr seltsames, das ich so noch nie erlebt hatte. Es war still. So unheimlich still, dass man hören konnte, wie sich Leute in angrenzenden Blöcken miteinander unterhielten. Das zu Spielbeginn frenetische Jubelklatschen ebbte im Eiltempo ab, die Menge legte die Hände in den Schoß und konsumierte den Spielverlauf mehr oder weniger kommentarlos, nur unterbrochen von einigen Ahs und Ohs, wenn sich ein Spieler dem Tor näherte und in selbiges hineinschoss. Oder auch daran vorbei. Es mag daran gelegen haben, dass die Argentinier durch ein Messi'eskes Traumtor von Di Maria in Führung gingen und eben diese Führung durch ein weiteres Tor ausbauten, es also vermeintlich keinen Anlass gab, die noch vor kurzem gefeierten WM Helden zu supporten, auch wenn sich einige Zuschauer dazu entschieden hatten, ihre Lethargie mittels rhythmischen Sekundenklatschens zu durchbrechen. So geht der Deutsche. Also, aus sich raus.

Getanzt und gefeiert wurde nur auf Seiten der Argentinier, die die Hüften schwangen und in ihre körpergroßen Flaggen gehüllt stolz Arien in ihrer Landessprache von sich gaben und, sich hochreckend und hüpfend, "So geh'n die Gouchos!" ins stille Rund schmetterten . Ein einsamer Trommler irgendwo im Oberrang versuchte tapfer, Stimmung auf der Heimseite zu erzeugen, mit mäßigem Erfolg.

Ich war gewohnt, dass die eigene Mannschaft gerade dann lautstark mit Gesang und vollem Einsatz aller zur Verfügung stehenden Stimmbänder und Hände unterstützt wird, wenn sie zurückliegt. Nun wurde sie stattdessen beschimpft und ausgepfiffen und das bereits in der ersten Halbzeit. Zum ersten Mal in meinem gesamten Fan-Dasein erwog ich, die Arena vor Spielende zu verlassen. Was hatte man erwartet? Ein "brasilianisches" 7:1, mindestens? Spieler, die bis an ihre Belastungsgrenzen und darüber hinaus gehen und sich die Knochen kaputt schinden, obwohl sie sich im laufenden Ligabetrieb befanden und die an diesem Abend lediglich ein unbedeutendes Testspiel bestritten? Musste Blut fließen, damit die Helden sich auch als solche unter Beweis stellten?

Auch im Vereinsfußball war nicht immer alles eitel Sonnenschein. Mal wurde mehr supportet, mal weniger. Mal gelang es, die Geraden mit einzubeziehen, mal nicht. Und auch Pfiffe kamen vor. Aber die Spiele wurden gelebt. Sie wurden lautstark besungen, es wurde gelacht, geschrien, gepöbelt, geschimpft, geklatscht, man bewegte sich, ging mit, schwenkte Fahnen, zeigte Transparente, um Botschaften zu vermitteln, durchlebte Freude, Siegesglück oder Trauer oder manchmal auch Wut, wenn es eben nicht so lief. Man war Teil seines Vereins, Teil seiner Mannschaft, Teil der großen Fanfamilie. Aufwändige Choreos wurden von Fans gestaltet, die nicht so aussahen, als hätte sie eine Werbeagentur im Auftrag des DFB entworfen, damit sie im TV gut aussehen.

Ebenso war die WM gelebt worden, nur mit anderen Stilmitteln. Sie war laut und bunt daher gekommen, je nach Nation in farbigen Trikots und exzentrischen Kostümierungen, die Zuschauer besangen ihre Mannschaften und feuerten sie mit Tröten und Trommeln an. La Ola Wellen liefen durch die Ränge, es wurde getanzt und gefeiert, manchmal allein schon ob des Glücks darüber, dass das eigene Team überhaupt teilnahm.

Ob man nun die eine oder andere Art Ausleben des Fanseins bevorzugte, blieb eine Entscheidung, die jeder für sich traf. Der Eine fand La Olas im Fußball deplatziert, den Anderen störte der Ultra- Dauergesang. Ich persönlich bevorzugte die Liga- und Vereinsfussball-Variante, gewann dem fröhlichen Miteinander internationaler Turniere aber durchaus auch viel ab.

Aber jene passive und stille Teilnahmlosikeit, die über weite Strecken in der Arena herrschte, war mir gänzlich fremd. Sonst hatte ich immer Mühe, meinen Platznachbarn zu verstehen, wenn er mir etwas ins Ohr brüllte, während ein Spiel lief. An diesem Abend hätte ich manchmal die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können. Mein Wohnzimmer war nicht mehr meins, so kannte und wollte ich es nicht. Einzig Freude empfand ich darüber, manche Spieler aus der Nähe zu sehen, die ich üblicherweise, als Fan eines Zweitligisten, sonst nur mittels TV Übertragungen der Bundesliga oder internationaler Ligen zu Gesicht bekam.

Vier Tore fielen noch. Für die zwei, die Jogis Jungs erzielten, wurde dann doch noch kurzzeitig der Jubelperser ausgerollt. Die der Argentinier wurden trotzig mit "Die Nummer Eins der Welt sind wir!"-Gesang quittiert, was mir etwas albern vorkam. Zumindest stellte es eine Erweiterung des N11 Liedgut- Repertoires um ein weiteres Stück dar, ansonsten beschränkte man sich auf gelegentliches "Deutschland, Deutschland".

Als Tormusik für die N11 war "Schwarz und Weiß" ausgewählt worden. Mal abgesehen davon, dass ich sehr dankbar dafür war, dass ich zuhause sonst niemals Klänge dieses unsäglichen Möchtegern-Comedians, dem selbstherrlichen sowie selbsternannten Fanszenen-Experten, ertragen musste, stellte ich mir die Frage, ob wir, die Fans, tatsächlich eine Gemeinschaft waren, die ihnen, den schwarz und weiß Gewandeten, zur Seite standen. Mir kam es an dem Abend eher vor, als gäbe es nur ein Schwarz oder Weiß, im Fall des Sieges grenzenloser Jubel, trat aber das Gegenteil ein, wurde unversehends zerpflückt, was man vor wenigen Wochen noch auf einen Thron gehievt hatte, der quasi bis in den Himmel reichte. Die Helden der Nation, die den deutschen Fußball in den nationalen und internationalen Fokus gestellt hatten. Funktionierten sie nicht nach Wunsch, war es schlagartig vorbei mit der alles überschwappenden Begeisterung, die Zuneigung wurde mit sofortiger Wirkung entzogen und durch Unmut und Ärger ersetzt. Dieses Entweder-Oder, bar jeglicher Abstufungen oder Schattierungen dazwischen, verwirrte mich. Ich stellte mir das so vor, dass es Einige gab, die tatsächlich nur Länderspiele verfolgten. Da die nun viel seltener stattfanden als Ligaspiele und mit wesentlich längerem Abstand dazwischen, lagen diese Hop-oder-Top Reaktionen darauf nahe, denn es gab ja keine kompletten Saisons, an denen man jedes Wochenende damit verbrachte, mit seinem Lieblingsverein zu leben und zu leiden und die Zeit zwischen den Spieltagen dazu nutzte, um über ihn zu sinnieren.

Begeisterungsfähige N11 Fans gab es zuhauf, das war unbestritten. Nur in Düsseldorf hatten viele offenbar ihre Feierlaune zuhause gelassen. Immerhin bedachte man die Mannschaft nach Spielende noch mit einigermaßen versöhnlichem Applaus, denn zwei Tore waren besser als gar keines, auch wenn das Spiel an sich vielleicht nicht das ganz große Glanzstück und zudem ohne Sieg gewesen war.

Die Heimfahrt gestaltete sich entsprechend, kein wildes Durcheinander-Geschnatter war zu vernehmen, Gesänge auf das eigene Team blieben aus. Jeder zog seines Wegs, es war spät und am nächsten Tag mussten die Meisten wohl vermutlich arbeiten gehen. Ich ließ das Erlebte Revue passieren und fasste den Entschluss, dass Ich keine Länderspiele mehr live in Stadien anschauen würde, die nicht im Rahmen eines Turniers stattfanden. Jeder Jeck ist anders und das ist auch vollkommen legitim. Nur für mich war das eben einfach nichts. Ich konnte Fußballspiele nicht einfach über mich ergehen lassen. Und ich wollte das auch nicht.

Ich freute mich auf den Tag, an dem das nächste Heimspiel meiner Fortuna stattfinden würde. Sie würde wieder Einzug halten in ihr und unser Zuhause und würde es mit Leben füllen. Mein Herz würde für sie schlagen, mit Inbrunst und Gänsehaut würde ich für sie singen und alles für sie geben, zu dem ich imstande war. Ich brauchte diese Liebe zu ihr, durch sie spürte ich mich und fühlte mich lebendig. Die Fortuna machte mich glücklich oder ärgerte mich. Sie ließ mich feiern oder traurig sein. Alles war gut, denn ich konnte ihr mitteilen, was ich empfand. Ich konnte es ihr zeigen und Anteil an ihr nehmen. Und mit mir all die vielen anderen Fortunen, die sich ihr verschrieben hatten. Wir alle pflegten unsere Beziehung zu ihr. Es wurde viel gelacht und auch gerne mal gestritten. Aber wir hielten zusammen und immer zu ihr, ganz egal, ob 30, 40 oder nur 20k von uns da waren. Sie war ein Bestandteil unseres Lebens und gehörte zu uns. Wir waren fest und unabdingbar miteinander verwoben und teilten alle Höhen und Tiefen miteinander. Wie das eben so ist mit der Liebe des Lebens.
Wir erhoben unsere Stimmen, um sie anzufeuern und die Gegner zu übertönen. Wir waren immer die Rot-Weißen, die Arena war unser Homeground und hier regierte unser Verein.


Fortuna Düsseldorf. Meine Liebe, mein Verein.


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